RitteRückblick

Wanderreiten in Polen – Ein Erlebnissbericht

Von Marion Sieg

Seit 2006 besteht die internationale Reitroute von Pritzhagen (Brandenburg) nach Nowo Polichno (Polen)- wir waren unter den ersten Reitern, welche diverse Wege auf dieser Route genießen durften. Endlich ist es soweit: Urlaub. Erleichtert schließe ich mein Büro ab und ziehe mit dem Rucksack zur U-Bahn. Im Regionalzug treffe ich meine Freundin Monika. Auf den üblichen 1,5 h Fahrt zum Stall kommt mir die Landschaft ganz anders vor, als in den letzten Wochen. Er riecht nach Abenteuer, nach Wanderreiten. Unsere erste Station per Hänger ist bei Rosi in Alt- Tucheband. Am Samstag und Sonntag lernen wir die überwiegend flache Landschaft mit unseren Pferden Lado und Jasko kennen, bevor es am Montag auf der Pferde- Route richtig losgeht.

Die Landwirte lassen in dieser Gegend neben fast allen Straßen und Gräben breite Wiesenstreifen, auf denn sie mit ihren schweren Fahrzeugen besseren Zugang zu ihren Feldern haben bzw. nicht die Straßen verstopfen. Wir erreichen also auf Wiesengrund trabend und galoppierend die Oder, mit ihren vielen Seitenarmen und Nebengewässern ein wahres Vogelparadies.

In Küstrin werden wir von Robert, unserem ersten polnischen Gastgeber, liebevoll am Pausenpunkt, einer Fischräucherei am Hafen, in Empfang genommen und reiten nach einem Pressetermin auf der Brücke gemeinsam zuerst durch die Stadt, dann durch den Wald nach Sarbinowo. Dort hat Robert mit seiner Frau Anieschka und drei Töchtern, die jüngste 8 Monate alt, einen Hof. Noch ist alles im Aufbau und manches nicht perfekt. Aber das stört uns nicht im geringsten. Wir fühlen uns sofort zu Hause, im Pferdestall mit seinem Teich in der Senke und üppigem Brombeergestrüpp, dessen reife Früchte uns zu manchem rotmundigen Festmahl einladen. Robert hat gerade Urlaub und führt uns seine schönsten (Schleich-)wege und Geheimecken vor. Wir sehen auf einem Ritt zur Oder einen der seltenen Schwarzstörche und viele andere Vögel. An der Mysla entlang, einem kleinen Bächlein, entdecken wir Spuren von Bibern und kommen aus dem Stauen über so viel Natürlichkeit nicht mehr heraus. Da Monika ständig links und rechts verwechselt, sorgt sie für gute Laune. Robert und ich kringeln uns oft genug vor Lachen, da Lado, der mit Monika vorn geht, die Wege viel besser kennt und stets „weiß“, wo er abzubiegen hat. Dieses alte Pferd erspürt ganz genau, wo es entlang gehen soll. Richtung Westen, gen Heimat, zieht er zu Rittbeginn stets ein wenig mehr an, in der Hoffnung es gehe tatsächlich nach Hause. Später schwenkt Lados innerer Kompaß stets auf Sarbinowo um. 

Agnieszka kocht so vorzüglich, dass ich denke, so könnte es alle Tage weitergehen. Aber nach drei Tagen juckt uns der Wanderreiterhintern wieder gewaltig und wir wollen weiter reiten, was die Gastgeber gar nicht verstehen: „Gefällt es Euch bei uns nicht?“ Wie erkläre ich dieses Fernweh? „Neue Wege rufen uns!“ sage ich und so satteln wir, mit einem tränenden und einem lachenden Auge, mit dem Versprechen, dass wir auf dem Rückweg wieder vorbeikommen werden.

Da das Pferdehotel in Witnica ausgebucht ist, entfernen wir uns noch weiter von der gekennzeichneten Strecke. 

Auf unserer Etappe nach Lubisze gelangen wir über Feldwege mit uralten Linden- und Ahornbäumen in den schattigen Wald. Wir finden auf unserer 1:100.000er Karte einen schönen Weg. Immer geradeaus reitend, traben und galoppieren wir so richtig zügig voran, was unser Herz begehrt. An einem idyllischen See mitten in der „Pampa“ schöpfen wir etliche Male mit einer Plastiktüte Wasser für die Pferde, da das Ufergelände morastig und unser Falteimer verschwunden ist. Bei über 30°C im Schatten tut ein erfrischendes Bad gut. Mein nasser Hut kühlt auch eine Stunde später noch meinen Kopf, als wir den schmalen Landsteg zwischen zwei Seen längst passiert und Fotos geschossen haben.

In Lubisze zeigt uns ein stolzer Pferdehofbesitzer via Jeep nicht nur sämtliche seiner edlen Rösser, sondern auch alle Koppeln und Reitstrecken auf dem hauseigenen Gelände, inklusive Stallgebäuden, Sattelkammer und Kutschenremise. Zur Führung gehörte auch die Besichtigung eines Schießstandes, dessen Knallgeräusche unsere Pferde bereits bei der Ankunft mit mißtrauisch aufgestellten Ohren gelauscht hatten. Zum Abendessen gibt es Piroggis, Teigtaschen mit Kraut gefüllt, ein typisch polnisches Gericht. Danach schauen wir einer Springstunde zu. Sohnemann soll es der Mutterstute nachmachen und hinter ihr über das Hindernis gehen. Anscheinend weiß das junge Pferd noch nicht, was man von ihm erwartet, denn es verweigert anfangs stets und reißt den Kopf hoch, um davon zu stürmen. Schließlich fügt es sich seiner Reiterin, bis es sogar einen dicken Baumstamm umrennt. 

Stundenlang müssen wir zu später Stunde vorm Computer ausharren und sämtliche Reiterfotos der ebenfalls pferdenärrischen Tochter ansehen, bis uns vor Müdigkeit fast die Augen zufallen und wir uns höflich in Richtung Hotelzimmer entfernen.

Neu für uns ist der Gepäcktransport, den alle Gastgeber gern, meist gegen einige Euro Sritgeld , übernehmen. Auf diese Weise kommen wir in den Genuß ohne größeres Gepäck zu reiten, was uns die Pferde gewiss auf ihre Art danken, denn sie laufen deshalb, bilden wir uns ein, etwas schneller. 

Da uns die eigentliche Tagesetappe nach Marwica zu kurz ist, reiten wir zunächst eine kleinere Runde in der Nähe des Hofes. Als die Pferde sich bereits „freuen“ und denken es ginge zurück nach Lubisze, drehen wir ab und reiten wieder genau in die andere Richtung. Gleich sind die beiden wieder ein wenig langsamer. Der Wald ist sehr schön hier, gemischt aus Laub- und Nadelbäumen, unterbrochen von kleineren Wiesenflächen auf denen wir mehrmals Kraniche aus der Ferne beobachten können. Erst als die Pferde das Wasser des Sees wittern, den wir ansteuern, legen sie wieder freiwillig an Tempo zu. 

An der öffentlichen Badestelle werden wir sofort von etlichen Kindern belagert. Im Gegensatz zu vielen deutschen Stränden sind wir hier herzlich willkommen. Mein mageres Polnischwissen hilft mir immerhin zu sagen wie die Pferde heißen, wie alt sie sind, und, dass wir einen Wanderritt machen. Kinder werden für ein Erinnerungsfoto auf den Pferderücken gehievt. Solchen, die barfuß kommen, erklären wir, dass Huftritte weh tun können. „Alle nije boische…“ heißt: „Aber keine Angst…“ Gemeinsam mit den Kindern streicheln wir die Pferde. Ein begeistertes Lachen in den Gesichtern rennen die Kinder stolz zu ihren Eltern zurück. Die polnischen Landsleute räumen sogar ein Schlauchboot und andere Badeutensilien beiseite, damit wir zum Tränken besser ans Wasser können. Wir fragen höflich, ob wir den Platz vorm Zelt für eine Pause benutzen dürfen. „Alle nije Problemm!“ bedeuten uns die Leute mit einladenden Handbewegeungen („Aber kein Problem!“). Ich bin gerührt über so viel Gastfreundlichkeit. Monika und ich wechseln uns mit dem Schwimmen und dem Pferdebeaufsichtigen ab. Unsere zwei Rösser kürzen derweil den Rasen. Nach dem Baden packe ich Brote aus und biete von den Piroggis an, welche ich vom Abendessen mitgenommen hatte. Uns wird eine Tüte mit Süßigkeiten hingehalten…

Der Weg führt genau am Strand inmitten der Badegäste entlang. Wir gehen lieber zu Fuß. Erleichtert stelle ich fest, dass das Gewimmel von weitem schlimmer aussah, als es tatsächlich ist. Niemand liegt so dicht am Weg, dass es gefährlich werden könnte. Ich bin beruhigt, denn auch die Pferde benehmen sich vorbildlich und gehen an den vielen Decken, Kindern und Kofferradios vorbei, als wären sie auf der Kirmes geboren worden. Stolz auf so viel Gelassenheit sitze ich wieder auf.

Zunächst geht es weiter am See entlang, bis wir im Wald auf die „Konnitrassa“ stoßen. An den Bäumen sind Reitwegzeichen angebracht: ein schwarzer Pferdekopf auf weißem Grund mit einem gelben Punkt oder Pfeil als Richtungsweiser. Erfreut stelle ich fest, dass ich mich entspannen kann, weil ich nur gelegentlich als Kontrolle einen Blick auf die Karte werfen muss. Wir reiten märchenhafte Wege entlang: weiße Birkenstämme am Wegrand rahmen das dichte, lange Sumpfgras ein. Der Mischwald ist feucht und riecht trotz der Hitze nach Erde und bringt ein Gefühl von erfrischender Kühle auf. Der richtige Abzweig nach Marwica ist von der Hauptroute aus schwer zu finden. Beim ersten Mal biegen wir zu früh ab, wie ich feststelle, als wir aus dem Wald herraus reiten. Aber in der Ferne sehe ich goldgelbe Stoppeln leuchten und so gelangen wir über ein riesiges, hügliges, abgeerntetes Feld wieder auf den Pferdeweg. Ich bin dankbar, dass wir heute nicht durch das halbe Dorf zu unserem Quartier laufen müssen. „Lewwa!“ schickt uns der befragte Dorfbewohner nach links und bereits nach ca. 100 m taucht ein Schild: „Agrotouristik“ auf. Wir werden von Magda und Witec herzlich empfangen.

Leider gibt es keinen Hafer, dafür eine mit Pflaumenbäume umgrenzte Wiese. Von unserem Zimmer aus, hinten in der Scheune, können wir die Pferde beobachten. Für das Fliegengitter gibt es gleich noch ein Plus extra in meinen Gedanken. Witec freut sich sichtlich über unseren Besuch. Er hat viel Spannendes zur Geschichte des Ortes zu erzählen und zeigt uns nebenbei sein kleines Museum. Die Gartendusche und ein Sprung in den Pool erfrischen uns nach einem langen Reittag. Magda kocht vorzüglich und beim lauschen auf Witecs Erzählungen, vergeht die Zeit wie im Fluge. Der Dackel Gustav und der Schäferhund Cuba dürfen zur Nachtruhe hinaus und wir müssen die Scheune von innen verschließen, da der Große sich die Türen selbst öffnet. Auch Witec geben wir unser Versprechen auf der Rückreise wieder vorbei zu schauen. Der nächste Hof in Lipy ist, wie Witnica zwei Tage zuvor, ebenfalls ausgebucht. Ich bin ein wenig sauer, weil ich meine Reiseroute nun wohl schon wieder ändern muss. 

Aber Witec ist äußerst hilfsbereit wie alle Polen auf dieser Reise und ruft Machek aus Nowo Polichno an, der dieses Projekt mit entwickelt hat. Machek organisiert uns im Handumdrehen eine Ferienwohnung und bringt dort höchstpersönlich Päddockstangen, Hafer und Heu für unsere Pferde hin. Ich bin begeistert über so viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. 

Fröhlich reiten wir am nächsten Morgen nach einem Abschiedsfoto los. Den ersten Teil der Strecke kennen die Pferde und sie freuen sich, dass es zurückgeht. Als wir jedoch auf der „Konnitrassa“ bleiben, verlangsamen sie ihr Tempo wieder. „Wer weiß wie weit die Frauchens noch reiten wollen heute?“ scheinen sie zu denken. Den wunderschönen Sumpfwald hinter uns lassend, überqueren wir zum ersten Mal eine Fernverkehrsstraße, befahrener, als unsere Autobahn, aber einspurig und ohne jegliche Leitplanken. Mir ist ein bißchen mulmig zumute, zumal der Autostrom nicht abreißen will. Einmal mehr bin ich froh, dass die Pferde so brav und geduldig sind. Endlich tut sich eine Lücke auf und wir reiten rasch hinüber. Der Wald schluckt den Straßenlärm und breitet seine Ruhe wieder wie ein samtenes Tuch über uns aus. Schnell ist der Stress vergessen. 

Wie uns von Witec bereits erzählt wurde, reiten wir an dem Förstergrab vorbei, der einst vor langer Zeit von zwei Wilderern erschlagen wurde. Die Ruhestätte sieht gepflegt aus und ist mit Blumen geschmückt. Zufällig wurde der Mann gefunden, hatte uns Witec berichtet und konnte die zwei Mörder noch beschreiben, bevor er verstarb und die beiden gefasst wurden. Wir reiten weiter über weiche, moosige Waldwege, als ein donnerndes Getöse immer näher kommt und sich dann wieder entfernt. 

Als wir eine der vielen alten Kopfsteinpflasterstraßen überqueren, habe ich des Rätsels Lösung: ein Auto fuhr nicht eben sanft über diesen buckligen Landweg. 

Bald darauf gehört die idyllische Stille wieder uns. Kurz vor den nächsten beiden Seen, welche ebenfalls so wie gestern nur ein einfacher Sandweg voneinander trennt, treffen wir wiederum auf eine Grabstätte. Es ist die von Erika Sommer, einem 9-jährigen Mädchen, welches hier als eines der letzten Kriegsopfer im Winter 1944/45 den Tod fand. Eine Grundschule sorgt für Blumen und Pflege an dieser Stelle. Wir halten an und reiten schweigend weiter, bis uns die Schönheit der Landschaft wiederum in seinen Bann zieht. 

Unterhalb des phantastischen Ausblicks auf den einen See entspringt die Marienquelle. Ein Ranger leiht uns nahe einer kleinen Holzhütte einen Wassereimer. Durstig schlürfen die Pferde das saubere Wasser. Unsere Hüte und Köpfe feucht gemacht mit dem erfrischenden Nass reiten wir nach einer Graspause weiter. Unvorstellbar, dass hier einst das Dorf Marienthal gestanden haben soll, so dicht ist hier der Wald. Wir kommen einen Weg entlang mit mächtigen, alten Bäumen und ich stelle mir gerade vor, dass es bestimmt nachts an dieser Stelle sehr unheimlich wäre, als mich ein heftiger Schreck durchfährt. 

Da sitzt doch tatsächlich ein Mann im Blaubeerkraut mitten im Naturreservat und beobachtet uns argwöhnischen Auges. Ich denke nur: „Hoffentlich bewegt er sich nicht!“, da die Pferde ihn bis jetzt noch nicht wahr genommen haben. Ich warne Monika durch einen Zuruf, weil ich Sorge habe, dass sie bei einem Erschrecken der Pferde herunterfallen könnte. Aber der Mann bleibt weiterhin still im Waldesgrün hocken und schon sind wir vorbei und erreichen später einen weiteren See mit einer kleinen Badestelle. Jasko fällt in seiner Gier nach Wasser, mein Hut löscht ja auch nur langsam seinen Durst, mit allen Vieren in den See hinein. Vor Schreck setzt er sich auf den Popo und bringt das Kunststück fertig rückwärts wieder herraus zuspringen. 

Besorgt kontrolliere ich Beine und Hufeisen- nochmal Glück gehabt, keine Verletzung zu sehen. Die Eisen scheinen fest zu sitzen. Nach etlichen Hüten voller Wasser kann ich die Pferde anbinden und Monika sprintet jauchzend ins kühle Wasser. Die Freude hat jäh ein Ende, als sie beim Ausstieg auf eine Wespe tritt, die sie promt in den Fuß sticht. Charlie Chaplin hätte nicht komischer herumhüpfen können. Aber mir vergeht das Lachen rasch. 

Fieberhaft suche ich die Notfalltasche hervor. In meinem Kopf hämmert es: „Insektenstich, haben wir für einen Insektenstich überhaupt etwas dabei?“ Monika sitzt auf einem Baumstamm und begutachtet ihren Fuß. Ich bin sehr erleichtert, als sie mir ein Zeichen der Entwarnung gibt: „Die Wespe hat nur halb gestochen, es geht schon wieder!“ Ich frage, ob sie den Fuß nicht doch noch im See kühlen möchte. Wütend funkelt sie mich an: „Guck doch mal hin, alles voller Wespen, weil die Leute ihren Müll nicht wegräumen! Ich setz‘ da keinen Fuß mehr runter!“ Tatsächlich summt und wimmelt es nur so herum, dass selbst mir Wasserfrosch das Schwimmenwollen vergeht. So rasch es bei der Hitze geht, verlassen wir unseren Rastplatz. Beim Weiterreiten können wir bald schon wieder lachen, alles nochmal gut gegangen. Die Hitze ist fast unerträglich, unsere Wasserreserven bis auf einen halben Liter fast aufgebraucht und Lipy noch nicht in Sicht, als Monika mich diesmal richtig zum Lachen bringt. 

Wir kommen an einer Sitzgruppe aus Holz vorbei, da fragt Monika: „Und, was fehlt hier wieder?“ Verständnislos schaue ich sie an. „Natürlich ein Lodywagen!“ (Monika ißt für ihr Leben gern Eis.) Unser Gelächter weckt die Pferde wieder auf und nach einem Trab sehen wir den nächsten See, bevor Lipy kommen muss, durch die Bäume schimmern. Der Weg geht wieder am Wasser entlang. Wir staunen über die Schönheit der Natur, als unser Weg jäh endet, da die Brücke über einen Wassergraben, der zum See führt, vom Sturm zerstört worden ist. 

Wir reiten zurück zur Straße, laufen zu Fuß ins Dorf und fragen uns zu unserem Quartier durch. Mit unserer Litze aus dem Gepäck, die ich vorsorglich für solche Notfälle eingepackt hatte, ist der Paddock schnell aufgebaut und die Pferde machen sich über das spärliche Gras her. 

Der Sohn und die anderen Gäste der Gastgeberfamilie sprechen Englisch und wir müssen umschalten, worüber ich traurig bin, denn nun kann ich weniger polnisch üben. Dennoch werde ich gelobt, dass ich Talent hätte. Entsetzt wehre ich ab und greife lieber schnell nach einer Grillwurst vom reichlichen Buffet. (Ich kann noch nicht mal einen zusammenhängenden Satz in polnischer Sprache sprechen, nur einzelne Wörter.) Der Abend wird mit einem abschließenden nächtlichem Bad in einem der nahegelegenen Seen gekrönt. 

Am nächsten Morgen wachen wir ziemlich zerknautscht auf, weil wir in unserem „Cottage“ entweder „Hitze“ oder „Kühle mit Mücken“ wählen konnten. Nachts hatte ich beide Varianten ausprobiert- ohne Erfolg auf wirklich erholsamen Schlaf. Zwischendurch schauten wir abwechselnd doch immer mal nach den Pferden, denn so ohne Stromgerät dicht am Waldrand, da war mir doch etwas mulmig zumute. In aller Frühe beim ersten Tageslicht setzen wir gemeinsam den Paddock um, da sowohl das Bund Heu, als auch das Gras restlos leergefressen sind. Das abends schon genossene, üppige „Barbecue“, wird morgens durch die Hausherrin noch getoppt. 

Sie fährt ein reichliches Frühstück auf, dass zum Brunchen einlädt, wenn nicht die Wespen wären, die etliche kleine Löcher in den Kochschinken bohren. Nebenan plätschert ein Bächlein in den Gartenteich und die Kois schwimmen träge herum. Der Garten ist eine Augenweide. Wir mögen gar nicht vom Tisch aufstehen. Bereits gegen 10 Uhr ist es dermaßen heiss, dass wir uns hinter das „Cottage“ in den Schatten verziehen, um zu satteln. Vorm Abritt werden wir nochmal mit einem Kaffee und Kuchen verwöhnt. 

Dann tauchen wir wieder ein in die Stille der Wälder. Zunächst geht es am See entlang. Die mächtigen Buchen spannen weit ihr Blätterdach und spenden Schatten. Ein fast gänzlich gerodetes Waldstück in brütender Sonne lassen wir im Galopp rasch hinter uns. Wir erreichen weitere Seen, an dessen Ufern ganz offiziell die Reitstrecke entlang führt und wir genießen diese Ausblicke und suchen gleichzeitig das Ufer nach einer geeigneten Stelle zum Tränken der Pferde ab. Der Weg führt an einem Sumpfgebiet entlang, wo der moorastige Weg mich verunsichert. Aber die Reitwegzeichen sind immernoch da. „Also müssen wir richtig sein!“ denke ich. Vor mir steigt plötzlich wie aus dem Nichts ein riesiger Adler auf und setzt sich weit oben auf einen Ast. 

Für solcherlei Situationen zeigt die erste Reiterin stets mit ausgestrecktem Arm auf das betreffende Tier, damit auch die zweite Reiterin von uns die Chance hat, einen Blick zu werfen, bevor es verschwunden ist. Der Adler wendet den Kopf, als wolle er uns betrachten. Dann hebt er seinen Pürzel und ich sehe einen weißen Flatschen hinab fliegen. Ich halte immernoch meinen Arm ausgestreckt, denn hinter mir kam noch kein Flüstern von Monika, nichts. Der Adler dreht noch ein Mal seinen Kopf seitlich und verschwindet dann im Gegenlicht flatternd über den Baumwipfeln. 

„Oh, was war das?“ fragt Monika aufgeregt. 

„Hast Du ihn nicht gesehen, den Adler?“ frage ich sie zurück.  

„Ich habe nur einen Schatten gesehen!“ antwortet Monika. 

„Der Adler saß doch vor uns, oben auf dem Ast, bevor er weggeflogen ist!“ spreche ich zu Monika nach hinten gebeugt. 

Enttäuscht meint Monika: „Dann muss ich wohl gerade geträumt haben!“ Kichernd rufe ich ihr zu: „Er hat sogar was fallen lassen für uns!“ 

Wir werden abgelenkt, als wir die Stelle sehen, wo der Adler hergeflogen kam: ein Teich über und über mit Seerosen bedeckt. Beeindruckt von der Schönheit des Anblicks schweigen wir wieder.

Am letzten See bietet sich eine Stelle zum Baden an und wir sind gerade abgestiegen, als ein riesiger LKW den schmalen Uferweg entlangbrummt. Ich denke: „Wo wollen die denn hier hin?“ Die Pferde fühlen sich bedroht und drehen sich bereits flüchtend in die andere Richtung um. Da bleibt das Ungetüm doch noch fauchend und ächzend stehen. Drei Männer springen aus der Fahrerkabine und hinein in den See. Jetzt bemerke ich, dass das Lastauto hellen Sand geladen hat. „Wahrscheinlich soll hier der Strand aufgeschüttet werden!“ sage ich zu Monika 

„Es ist wohl besser, wir reiten weiter!“ 

„Schade!“ erwidert Monika „Ich hatte mich schon so auf das Baden gefreut!“ 

Ich tröste sie: „Schau mal, hier haben ja die Schneckis auch nichts zum Grasen! Die Badestelle ist einfach so klein, dazu die vielen Leute- das könnte auch gefährlich werden!“ 

Keine 100m weiter finden wir im Wald eine saftige Wiesenkreuzung. Die Pferde hauen rein und wir genießen unsere letzten Brote. Der weitere Weg führt stetig bergab und an einem Luch entlang reitend, sehen wir viele Spuren von den Tieren des Waldes. Wir fühlen uns ein wenig wie fährtenlesende Indianerinnen. Doch irgendwann ist auch der schönste Wald einmal zu Ende. 

Die Warthe- Ebene liegt mit zahlreichen Niederungen und Flüsschen vor uns. Auf den Wiesen machen die Bauern Heu. Rolle für Rolle sieht der Anblick von weitem aus wie ein riesiges Teppichmuster. Der Reitweg führt auf einem Deich entlang, der jedoch ziemlich marode ist und wir müssen höllisch aufpassen, dass keines der Pferde in eines der Löcher tritt. Daneben verläuft schnurgerade ein geschotterter Weg, eine Durststrecke für uns. Entschädigt werden wir durch den Blick auf etliche Weißstörche, die am Graben in der Mittagshitze dösen und ,als der Weg endlich ins Städtchen Santok abbiegt, winkt eine „Lodystation“. 

Die Pferde werden nach dem Tränken mit Haferflocken und wir mit Eis belohnt. Mein Zigarettchen schmeckt mir gut wie lange nicht mehr. Der Mann mit dem Eimer hat sein Söhnchen auf dem Arm. Nach dem Streicheln möchte der Kleine gar nicht mehr weg. Am Gartenzaun bellt ein Schäferhund wie verrückt. Als seine Besitzerin zunächst neugierig hinterm Haselstrauch hervorlugt, um zu sehen, was den Hund so erzürnt hätte, kommt sie kurze Zeit später mit einem Beutel voller Falläpfel zurück. Wir bedanken uns, die Pferde lassen es sich schmecken und der kleine Junge schaut weiterhin fasziniert zu. 

Jetzt ist es nicht mehr weit bis nach Nowo Polichno. Wenn nur diese Hitze nicht wäre. Hinter der großen Brücke an den Warthewiesen können wir mit Blick auf die Altstadt wieder aufsitzen. Am breiten Fluss entlang kämpfen wir uns durch den zugewucherten Uferrand. Wenn ich nicht gewußt hätte, dass der Pferdeweg hier entlangführt, hätte ich sonst aus Angst vor sumpfigem Boden wohl eher wieder kehrt gemacht. Am nächsten Dorf vorbei reitend, kommen wir über die Felder auf dem Pferdehof in Nowo Polichno an. Den Pferden tut eine kühle Box im Stall gut. Bereits in der ersten Nacht legen sich beide zum Schlafen hin. 

Am nächsten Tag brechen wir erst mittags auf. Wir wollen zwei Stunden zum See und wieder zurück reiten. Der Weg sieht auf der Karte ganz einfach aus und Machek sagt: „Proßta, Proßta!“, was soviel wie „Immer geradeaus!“ heißt. Wir finden die Schleichwege, die auch Machek mit seinen Reitgruppen benutzt. 

Aber von wegen nur „Proßta, Proßta!“, als wir meinen endlich den richtigen Weg gefunden zu haben, stellen wir nach einigen flotten Kilometern fest, dass der Weg, statt ziemlich genau nach Osten, eher nach Südosten führt. 

Mitten in dem riesigen Waldgebiet gibt es eine kleine Ansiedlung, auf die ich hoffe zu zu reiten, als ich mit dem Kompaß wieder einen Ostweg gefunden habe. Monika ist jedoch anderer Meinung und erklärt mir ihre Theorie, wo wir sein müßten. Ich werde immer unsicherer, wo wir uns in etwa befinden. Wir einigen uns darauf nach Norden zu reiten, da dort in jedem Falle der Wald aufhört und wir auf die Straße und Häuser treffen müßten. Als wir nach insgesamt zwei Stunden Reitzeit auf einen Friedhof stoßen, weiß ich wieder genau, wo wir sind und ich bin entsetzt, dass es noch so weit entfernt vom See ist. Ich grolle ein wenig vor mich hin. Warum habe ich vorhin nicht auf mein Gefühl vertraut und habe meinen Plan weiter verfolgt? Die Pferde trotten ziemlich lustlos durch die sandige, triste Kiefernöde dahin. „Mein Gott, wie öde!“ denke ich „Da hätten wir ja auch zu Hause bleiben können, wie Brandenburg in seinen ehemaligen Militärgebieten, nur zehn mal so groß!“ 

Als wir zu früh abbiegen und uns ein Bauer auf die Frage nach dem Weg widerum mit „Proßta, Proßta!“ die Richtung zeigt, fange ich eine Weile später, als ich meinen Ärger hinuntergeschluckt habe, an zu singen: Proßta, Proßta, reite proßta uuuh, Proßta, proßta…(Das italienische Sängerduo möge mir verzeihen, wenn ich ihre Melodie zu diesen Zwecken mißbraucht habe). Monika stimmt sofort mit ein. Danach lachen und kichern wir eine Weile herum, bis wir endlich den See erreichen. Die Spuren von anderen Reitern führen zwar nach links zum Seebad herunter, aber diesmal setze ich mich mit dem Argument: „Ich mag nicht so nahe am Dorf ins Wasser gehen!“ durch und wir reiten nach rechts. 

Wir finden nach mühseeliger Suche, denn unsere Karte gibt nicht viel her, etliche Wege die auf den See zu führen. Aber ans Wasser kommen wir nicht herran, da die Böschung etliche Meter hoch und sehr steil ist. Meine Idee den See ganz zu umreiten, weil am aderen Ende keine Steilküste auf der Karte eingezeichnet ist, gebe ich bald auf- zu weit. Für kurze Zeit denke ich daran, mir für’s nächste Jahr ein GPS- Gerät anzuschaffen. Immerhin ist es bereits nach 18 Uhr und wir müssen noch mindestens zwei Stunden für den Rückweg einplanen, vorrausgesetzt wir finden diesmal auf Anhieb den richtigen Weg. 

Aber mein verletzter Stolz schiebt diese Gedanken ganz schnell weg. Dafür werden wir mit einem sagenhaften Blick von oben auf den See entschädigt. Dises Glück währt nicht lange, denn uns versperrt ein Zaun den Weg. Vorsichtig balancieren wir mit den Pferden an der Kante entlang, bis wir wegen undurchdringbaren Ästen doch aufgeben und umkehren müssen. Monika rutscht ziemlich gefährlich ab und ich schimpfe innerlich mit mir über meinen Dickkopf. Erschöpft machen wir auf einem breiteren Weg eine Pause und Jasko sucht in meinem Hut nach Wasser. Da möchte ich am liebsten heulen. „Es hilft alles nichts!“ denke ich „Wir müssen irgendwie ans Wasser kommen!“ 

Mühsam rappeln wir uns hoch, sitzen auf und reiten weiter. Ich bin erleichtert, als nach einer weiteren halben Stunde kostbarer Zeit sich endlich der breite Weg zum Ufer schlängelt und dort bergab führt. Gierig trinkt Jasko mindestens 20 Hüte voll leer, die ich mühsam an der steilen Böschung aus dem See schöpfe. Lado kann es kaum erwarten, dass er auch zu trinken bekommt und bettelt abwechselnd mit den Vorderhufen, als Monika sich einen kleinen 5-Liter-Eimer von den Anglern nebenan borgt. Beim 4. Eimer hört Lado irgendwann auf zu trinken. 

Direkt im Dorf neben dem Bootsverleih, unweit der Kirche finden wir die Hufspuren von vorhin wieder und die einzige flache Stelle am Wasser weit und breit. Monikas Bemerkung: „Wir müssen aufhören deutsch zu denken! Wir hätten hier baden gehen können mit den Pferden! Für die Polen wäre das kein Problem gewesen!“ klingt auf dem Heimweg noch lange in mir nach. 

Nach der Erfrischung und mit dem neuen „Proßta-Lied“ ziehen wir und die Pferde heimwärts wieder an. Wir erreichen tatsächlich nach 2,5 Stunden in der Dämmerung den Stall. Ich bin froh, als ich nach einem späten Abendessen in mein Bett fallen darf. 

Machek hat auch am nächsten Tag noch ein schlechtes Gewissen und wir merken, er glaubt uns nicht, dass wir doch noch zum See gefunden haben. Erst, als Monika beginnt, alles dort genau zu beschreiben, verschwindet die skeptische Mine und die Besorgtheit in seinem Gesicht. Nach dieser grenzwertigen Erfahrung machen wir am nächsten Tag nur einen ganz kleinen Rundritt in einem vergleichsweise winzigem Waldstück. Nach zwei Stunden habe ich das Gefühl fast alle Wege zu kennen und aufgrund der Hitze halten wir es auch nicht länger aus. 

Monika reist am Nachmittag wegen eines wichtigen Termins nach Berlin ab. Ich schaue mir Macheks Pferde genauer an und als abends Kundschaft kommt, läd er mich auf einem seiner Pferde zu einem ruhigen Ausritt ein. Mein Warmblüter ist ein lieber Kerl und noch nicht sehr ausbalanciert mit seinen 5 Jahren. Es ist schön mal ein anderes Pferd unterm Hintern zu haben. Machek kennt sich natürlich besser aus in seinem heimatlichen Wald und unsere Gruppe kann einen Schwarzstorch aus nächster Nähe bewundern. Der große Vogel bewegt sich nicht einmal, als wir unmittelbar unter seinem Nest entlangreiten. Wahrscheinlich kennt er die Pferde oder ihm ist in seinem dunklen Federkleid auch längst viel zu heiß geworden. Am nächsten Tag haben die Pferde Ruhe und ich fühle mich bereits morgens wie in einem Brutkasten. 

Ich bin ein bißchen aufgeregt, denn ich fahre allein mit dem Bus zum Baden an den See. Von den anderen drei Mitfahrenden werde ich neugierig beäugt. Das Schwimmen und Ausruhen tut mir gut. Bei der Hitze die richtige Entscheidung. In „Goszanowo“ gibt es herliches selbstgemachtes Softeis und, als ich an der Bushaltestelle warte, holen sich noch etliche andere Leute per Auto oder Fahrrad dort ein Eis. Warum ich im Bus allerdings auf dem Hinweg 5,80 Zloty und auf dem Rückweg nur 5,20 Zloty bezahle, bleibt ein Rätsel. 

Meine Gastgeber sind erleichtert, als ich wieder auftauche. Anscheinend  hatte Machek nicht zugehört, als ich ihm am Vortag von meinen Plänen erzählte. Abends möchte die kleine Maja wieder ihren Vater für sich haben. „Wolle bujo!“ kräht sie und Machek muss sie an den Händen fassen und geschwind im Kreis herum drehen. Wehe dem, er hörte auf damit, dann brach die Kleine in großes Geheul aus, bis sich der Mann wieder auf eine Runde „Bujo“ erweichen ließ. Am nächsten Morgen wird Sohnematz zum Zug gefahren. Er reist in ein Kinderferienlager. Aufgeregte Stimmung am Frühstückstisch: es geht um das Taschengeld. Mutter will dem Kind mehr mitgeben und Vatern sagt, dass es reichen muss, was er rausrückt. Ich lächle in mich hinein und denke: „Genauso wie bei uns!“ 

Auf dem Rückweg, das paßt hervorragend, wird Monika, aus Berlin kommend, gleich mit eingesammelt. Da der Motor des Mähdreschers den Geist aufgegeben hat, hält Machek bei dieser Gelegenheit in der Stadt nach einem Neuen Ausschau. Für mich wird die Warterei, angesichts der sengenden Hitze wollte ich eigentlich zeitig losreiten, zur Quälerei. 

Gegen 11:30 Uhr kommt die Familie zurück und Monika ist auch sehr froh, dass es endlich losgehen kann. Für den Weg nach Santok wähle ich diesmal nicht die ausgeschilderte Route über die Felder, sondern durch den Wald, um uns vor der sengenden Glut der Sonne zu schützen (Europawetter: Amsterdam 23°C, Rom 24°C, Moskau 24°C, Gorzow Wielkopolski 35°C). 

Nachdem wir die Warthe verlassen haben, halten wir wieder beim „Zleppa“ (Laden), um ein Eis zu holen. 

Wir folgen abermals der Route nicht, um an der Straße entlang, statt am Deich, den Schatten der Bäume auszunutzen. Bereits am Ende des Ortes haben wir schon kaum noch Wasser in unseren Trinkflaschen. Das Klingeln an den letzten Höfen hilft nicht- keiner öffnet uns die Tür. Da wir den Rest des Tages nur noch durch Wald reiten werden, benötigen wir jedoch unbedingt noch eine Wasserreserve. 

Als wir schon fast verzweifeln, fährt aus der Einfahrt neben dem letzten Haus ein Auto heraus. Monika rennt winkend und rufend die Straße zurück. Ich lasse die Pferde derweil etwas grasen und achte darauf, dass ich jedes Schattenfleckchen erbeuten kann, was sich von den dünnen jungen Bäumchen anbietet. Als Monika bei mir ankommt, strahlt sie über’s ganze Gesicht: 

„Der Mann war total nett und hat Deutsch gesprochen!“ 

Dann lacht sie und ahmt ihn nach: 

„Sie hätten ruhig auf den Hof gehen können. Der Hund beißt nicht!“ 

Wir schütten uns aus vor Lachen. Wer geht freiwillig auf einen Hof, der von einem großen Hund bewacht wird?

Bald darauf haben wir den Wald erreicht und jauchzend vor Freude galoppieren wir zwischen Farnkräutern und Brombeerbüschen den Hohlweg hinauf. Manche der Beerenfrüchte sind bereits reif. Wir lassen es uns schmecken. Danach kommt wieder das lieblich anzusehende Stück mit mehreren Reihen Birken am Wegesrand, bevor es rechts herum wieder abwärts zum ersten See geht. 

Der Strand mit dem frischen, hellen Sand hat kleine Buddelfreunde gefunden. Als wir mit den Pferden an das Wasser zum Tränken möchten, weichen die Kinder keinen Zentimeter von der Stelle. Mein Polnisch und meine Gesten reichen nicht aus, die Kleinen bleiben wie angewurzelt hocken und schielen an den großen Pferdeleibern hinauf.

Mein Blick zur Mutter, der einzigen erwachsenen Person, wird nicht erwidert. Die Pferde ziehen wie verrückt an den Zügeln, wollen trinken und ich bekomme Angst, dass kleine Füßchen unter den Hufen begraben werden. Jasko scheut, da der Uferrand durch das Neuaufgeschüttete Material steiler geworden ist. Nach seiner unglücklichen Erfahrung an dem anderen See hält er nun respektvoll Abstand. Bevor er den Rückwärtsgang einlegen kann, reiße ich mir den Hut vom Kopf und schöpfe Wasser so schnell es geht, damit er saufen kann. 

Abermals versuche ich Blickkontakt zu der Frau aufzunehmen. Einige ältere Jungen haben ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen und albern laut herum. Vorsichtig entfernen wir uns, nachdem die Pferde sich satt getrunken haben, von der Badestelle. Zwei Mopeds versperren uns den Weg. Mir fällt nur „Maschina“ ein, das russische Wort für Auto. Auf meine Bitte im holprigen Polnisch, mir das Auto zu geben, grinst der größte von den Jungen und macht eine obszöne Handbewegung in Schritthöhe. 

Ich setze meinen strengsten Sozialpädagoginnen- Blick auf, den ich habe und sage auf Deutsch: „Du verstehst mich schon!“ Woraufhin er einen der anderen Jungen anspricht und sie sich langsam in Bewegung setzen, um die Fahrzeuge aus dem Weg zu räumen. Ich bedanke mich auf Polnisch und bespreche nach dem Aufsitzen mit Monika über diesen Vorfall. 

Die Begebenheit ist jedoch schnell vergessen, denn die schöne Landschaft zieht uns wieder in ihren Bann. Die Pferde spüren längst, dass es nun stets den gleichen Weg auf der „Konnitrassa“ entlang zurück geht. Freudig laufen sie vorwärts, als wollten sie sagen: „Das kennen wir!“ Ich versuche mit meinen Gedanken nicht den Weg voraus zu eilen, sondern im „Jetzt“ die Natur zu genießen. 

Inzwischen habe ich entlang den Beinen jede Menge Hitzepickel und meine Haut unter den Reithosen fühlt sich heiss und wund an. 

„Ich werde wohl morgen zusätzlich mit langer Unterhose reiten müssen!“ denke ich. Ich weiß kaum noch wie ich im Sattel sitzen soll und auch beim Führen des Pferdes brennt es an meinen Beinen. Ich lasse mir jedoch nichts anmerken, denn Monika klagt über Kopfschmerzen und die sind in meinen Augen bei der Hitze ernster zu nehmen, weil wir in etwa die Hälfte der Wegstrecke noch vor uns haben. 

Da unsere Wasserreserven bereits erneut bedenklich abgenommen haben, schlägt Monika vor, beim nächsten Laden einzukaufen. Ich schüttel nur den Kopf und sage: „Monika, wir sind im tiefsten Wald! Bis wir Lipy erreichen, kommt nur noch Wildnis, kein Ort, nichts!“ Bevor sie etwas entgegnen kann, spreche ich weiter: „Auf der Karte sind zwei Häuser eingezeichnet, modernisierte Bauten müßten das sein! Dort werden wir gleich eintreffen!“ 

Meine Sorge, dass es mir dort auf dem Hinweg sehr unbewohnt ausgesehen hatte, behielt ich lieber für mich. Doch wieder erfahren wir höchste Gastfreundschaft. Ein freundlicher Pole schenkt uns auf unser Klingeln und Fragen hin eine Literflasche Wasser und geht ein zweites Mal, um eine „Kubek“ (große Tasse) für die Aspirin zu holen. Wir setzen das Getränk an, bis der letzte Tropfen vertilgt ist und können die leere Flasche gleich am Gartenzaun zurücklassen. 

Erschöpft erreichen wir Lipy, als wir feststellen müssen, dass ein Gewitter aufzieht und Machek unser Gepäck noch nicht gebracht hat. Ausgerechnet heute hatte ich es gewagt, auch die Regensachen im Tross zu lassen. Bei den ersten Tropfen verteilt die fürsorgliche Gastgeberin Regenumhänge und bedeutet uns, dass die Pferde am Haus auf dem schönen Kleerasen fressen dürfen. Da jedoch der Hausherr mit einem Gesicht wie „Sieben-Tage-Regenwetter“ an uns vorbei geht, lehnen wir die Einladung der Hausfrau  zu einer Übernachtung der Pferde im Mustergarten ab. Wir beschließen die Pferde nur so lange hier fressen zu lassen, bis Machek mit dem Gepäck eintrifft. Ich bin froh, dass ich morgens umsichtig war und Hafer selbst in unserem Gepäck verstaut habe, denn Machek hatte uns völlig vergessen und es ist auch kein Heu dabei. 

Für uns gibt es Fisch und ich freue mich, dass Monika keinen ißt, dann kann ich zwei Stücken genießen. Der Hausherr läßt sich nicht mehr blicken. Nach dem Abendessen, welches ebenso reichlich und köstlich ist wie auf der Hintour, stecken wir den Padock noch einmal um. 

Als Monika mich am See im Badeanzug mit nackten Beinen sieht, schlägt sie die Hände über dem Kopf zusammen: „Du hast ja Verbrennungen ersten Grades! Da muss uns für morgen aber etwas einfallen!“ 

„Wie ein Pavian am Hintern…!“ versuche ich die Sache herunter zu spielen. Ein Bad im See kühlt meine geschwollene Haut. Erfreut stellen wir im „Cottage“ fest, dass Fliegengitter an den Fenstern angebracht wurden. Monika stellt fest: „Schön, dann hat es etwas genutzt. Ich wurde nämlich auf dem Hinweg gefragt, was noch verbessert werden könnte!“ 

Nach einem weiteren kurzen Gewitterregenschauer kühlt es endlich ab und wir schlafen beide endlich mal wieder richtig gut. Trotzdem wache ich noch vorm Morgengrauen auf und kann nicht mehr einschlafen. Deshalb beschließe ich den Padock umzustellen und mache mir einen Schlachtplan wie ich es allein bewerkstellige, damit Monika weiterschlafen kann. 

Zunächst lasse ich Lado heraus, weil auf ihn am meisten Verlass ist, da er fast nie wegrennt. Dann führe ich Jasko am Halfter immer im Kreis herum und lasse die Litze fallen und sammle danach die Stäbe ein. Auf einem frischen Grasstück stelle ich die Pfähle neu auf und hoffe, dass mein Klopfen mit einem Feldstein niemanden wach macht, als auch schon der Hund des Hauses anschlägt. Zum Glück beruhigt er sich wieder, als ich mit dem Hämmern fertig bin. 

Ich habe soeben die Litze vollständig eingehakt und will mich dranschicken Lado zu holen, als sich dieser von mir entfernt. Jasko wird schon unruhig und geht aufgeregt auf und ab, da sehe ich, dass Monika Lado von uns weg führt. Als mein Rufen nicht gehört wird, zögere ich nicht lange und renne hinterher, bevor Jasko möglicher Weise ausbricht. 

Monika ist mehr erschrockener, als Lado, denn ich nähere mich keuchend von hinten. „Wo willst Du denn mit Lado bloß hin?“ ächze ich hervor. Ich reiße ihr das Pferd aus der Hand und wende es. Aus der Ferne wiehert leise Jasko und beruhigt sich jedoch sofort, als er uns zwei kommen sieht. Monika stolpert hinterher: 

„Ich dachte die Zwei sind ausgebrochen und da wollte ich mit Lado zu Dir, um Dich zu wecken. Ich dachte Du schläfst noch!“ 

Ich sage zu Monika: „Ich habe den Padock schon fertig umgebaut. Lado stand doch daneben. Hast Du’s nicht gesehen?“ 

Verwundert schüttelt Monika den Kopf: „Wie hast Du denn das allein geschafft?“ 

Ich erkläre ihr meine Vorgehensweise. 

„Und ich führ‘ den Lado noch weg!“ macht Monika sich Vorwürfe, „Ich habe euch wirklich nicht gesehen!“ 

Auf dem Weg zum „Cottage“ sage ich: „Ist ja nochmal gut gegangen!“ Erleichtert lachen wir los und hauen uns nochmal ins Bett. 

Der nächste Tag erwartet uns mit leichtem Nieselregen und einem bombigen Frühstück. Meine Laune steigt wegen des guten Reitwetters rapide an. Meine Beine sehen wieder halbwegs normal aus. Auch der Hausherr lächelt wieder. Mit Freude schwingen wir uns in den Sattel, denn wir wissen, uns erwartet wieder schöner Wald. Diesmal machen wir am „Wespensee“ an einer anderen Stelle Pause. Vom Steg aus können wir auf’s Wasser blicken. Wir haben gut gewählt. Das Blätterdach ist dicht und läßt kaum etwas an Nässe durch, als der Regen stärker wird. 

„Wenn Engel reiten!“ rufe ich lachend nach hinten, denn, als wir wieder im Sattel sitzen, hat sich das Regenmaß wieder auf leichtes Nieseln eingestellt. „Das haben wir aber gut abgepaßt!“ entgegnet Monika ebenso froh. 

Wir nähern uns der Marienquelle und wollen um die Ecke biegen, als beide Pferde plötzlich wie angewurzelt stehen bleiben. „Was ist denn mit Euch?“ frage ich laut. Ich versuche zu beruhigen: „Hier ist doch die tolle Grasstelle vom letzten Mal!“ 

Die Pferde setzen sich zögernd wieder in Bewegung, als sie uns, ein paar Schritte weiter, voller Panik den Rückwärtsgang einlegend, fast die Zügel aus den Händen reißen. Der Grund ist ein „weiß/olivgrüner Dinosaurier“.

Ein Schimmel unförmig bepackt und mit einem Regencape bekleidet, kommt uns neugierig entgegen. Lado und Jasko ist er nicht geheuer. Sie schnauben und prusten wie verrückt. Trotzdem nehme ich beide Pferde und Monika fängt das Pony ab und führt es zur Rangerhütte zurück, wo ein zweites „Monster“ angetüdert ist. Wir werden von zwei jungen Frauen namentlich begrüßt und wundern uns, woher sie uns zu kennen scheinen. 

Das Rätsels Lösung öffnet sich nach und nach. Die beiden haben unser Foto gestern bei Witec gesehen und er hat Ihnen von uns erzählt. Mit einer Tasse Kaffee in der einen und einem Rucksack in der anderen Hand, stellt sich noch ein junger Mann, als der Freund der einen Reiterin vor, welcher die Ponys zu Fuß begleitet. 

„Hut ab!“ denke ich, „25 bis 35 Kilometer am Tag würde ich nicht jeden Tag laufen wollen!“ 

Da es bereits Nachmittags gegen 16 Uhr ist und es bis Lipy bestimmt noch mindestens 15 km zu reiten bzw. zu laufen sind, fällt unser Zusammentreffen recht kurz aus. Die Truppe möchte noch bis in die Masuren kommen und zieht weiter nordwärts. Sie kommen nur langsam vorwärts. 

Allerdings haben sie sich bis Oktober Zeit genommen. „So lange noch!“ denke ich und werde glatt ein wenig neidisch. Dann denke ich jedoch zurück an meine Studienzeit. Da bin ich schließlich auch einmal von Berlin an die Elbe, quer durch Mecklenburg an die Oder und auf dem Rückweg noch einmal rund um Berlin herumgeritten, während meiner letzten Semesterferien. Auf meiner Karte zeigen ich dem Trio rasch noch ein Quartier für den morgigen Tag, in Barlinek, wo Monika und ich bereits zwei Mal gewesen sind. 

Gut gelaunt reiten wir weiter und die anderen tun mir fast ein wenig leid, weil sie bestimmt erst spät in Lipy ankommen werden. Von den Seen weg führt die Route Monika, mich und unsere Pferde wieder bergauf und wir sind gerade wieder in der Stille angekommen, da entfährt mir ein leiser Aufschrei, weil vor mir vier Seeadler, von uns aufgeschreckt, über die Schohnung abstreichen. Wir schauen ihnen nach, bis sie hinter den letzten Baumwipfeln der anderen Seite verschwunden sind, als sich neben uns zwei weitere Vögel in die Lüfte erheben. Diesmal sieht jedoch die Federzeichnung von unten her gesehen anders aus. Von der Größe her gleichen sie ihren Vorfliegern. Welch ein Anblick! Ich freue mich und drehe mich zu Monika um. Auch sie kann unser Glück kaum fassen. Wieder im Bergtal angekommen, fliegen nochmals vier Seeadler auf und verschwinden in der gleichen Richtung wie die anderen Vögel. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vor Aufregung spüre ich immernoch mein Herz klopfen und Monika freut sich mit mir über das tolle Erlebnis.

Bei Witec und Magda in Marwica wartet in unserem gemütlichen Zimmer in der Scheune eine nette kleine Überraschung: für jeden von uns ein Foto, liebevoll in einem kleinen Bilderrahmen aufgestellt. Der Abend wird über das Erzählen mit Witec wieder recht lang und vor allem interessant. 

Am nächsten Tag, als die Hufe der Pferde, gerüstet für einen Rundritt, über den Hof trappeln, höre ich es klappern: bittere Enttäuschung, denn bei Jasko ist ein Vordereisen locker und das andere wackelt ebenfalls schon ein wenig. Auf jeden unserer Wanderritte hatte ich Werkzeug und Nägel dabei. Diesmal, als ich es nicht dabei habe, nach mehr als zehn Jahren, passiert’s natürlich. Dafür habe ich die Regendecken dabei, die wir sonst nicht mit auf dem Ritt hatten und die auch dieses Mal mehr als überflüssig sind. 

So ein Pech, dass auch noch „Niedjiela“ ist (Sonntag)! Dieser Tag gehört bei den Polen der Familie und die meisten gehen in die Kirche. Der Schmied geht nicht ans Handy und geeignetes Werkzeug ist nicht aufzutreiben. Da ist nichts zu machen. Da wir ohnehin für den morgigen Tag eine Ruhepause eingeplant hatten, ziehen wir diese einfach vor. Was bleibt uns auch anderes übrig! 

Wir versuchen geduldig zu warten und spielen Mad, das Gegenteil von Monopoly und lachen uns manchmal fast scheckig. Die Pferde werden ein wenig bemuttert und da wir doch ein wenig Langeweile haben, kommt uns eine Idee. Witecs riesiges Stein-Waschbecken an der Rückseite der Scheune wird kurzerhand zum Hafertrog für Lado umfunktioniert, damit wir ihn nicht immerzu bewachen müssen, weil er so langsam frißt und Jasko ihm sonst jede Menge Futter klauen würde. Gedacht- getan. Was müssen wir doch lachen, als Lado sich im Spiegel sieht. Vor Schreck hört er erst einmal auf zu kauen. Eine ganze Weile steht Lado äußerst stille da und scheint zu überlegen. Dann setzt er sich plötzlich in Bewegung und geht um die Ecke der Scheune herum, wo denn nun das andere Pferd wäre. 

Wir führen ihn zum Hafer zurück und Lado fängt wieder an zu fressen. Doch er läßt den „Anderen“ nicht aus den Augen und scheint sich zu wundern, dass dieser alles mitmacht. Lado wackelt mit dem linken Ohr, guckt, vergißt das Kauen. Dann besinnt er sich doch wieder auf’s Fressen, wackelt mit dem rechten Ohr, guckt, vergißt wieder das Kauen. Wir schmunzeln über das Verhalten des Pferdes. Erst, als ich mich neben Lados Kopf auf den Rand der „Krippe“ setze, frißt das Pferd normal weiter, so, als wolle es sagen: „Na, wenn Frauchen dort auch zu sehen ist, kann das ja nicht so gefährlich sein!“

Abends ereilt uns die freudige Nachricht, dass der Hufschmied in aller Frühe, vor allen anderen Kunden um 07:30 Uhr für uns zur Verfügung steht. Er wechselt einige Nägel an Jakos Beschlag und haut kurzerhand bei jedem Eisen zwei vierte Nägel dazu hinein, für diese Situation die einfachste Lösung. 

Wir reiten in ein windiges Wetter hinein, wollen den nördlich gelegenen See: 

„J. Marwicko“ umrunden. Durch den schönen Sumpfwald reitend, verlassen wir bald die Pferderoute und kommen wieder am Strand vorbei. Diesmal sind keine Badegäste zu sehen- zu stürmisch und zu wenig Sonne an diesem Tag. Nur eine Handvoll Camper haben sich unter Bäumen ein Schutzdach gebaut. Unser Weg führt wieder vom Ufer weg in den Wald hinein. 

Als wir nördlich reitend auf die Wiesen hinauskommen, bietet sich uns ein wunderbares Wolkenschauspiel. Das lange Gras und die Bäume am Wiesenende, wo die Uferzone beginnt, zaust der Wind. Eine Birke am Wegesrand begrüßt uns mit ihren peitschenden Ästen, als wir in ein Dorf kommen, wo die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, einzelne Höfe, bestehend aus Haupthaus und Stallgebäuden, leicht baufällig und doch sieht man ihnen die liebevolle Pflege seiner Besitzer an. Hinterm Dorf beginnt ein Naturschutzgebiet. Wir reiten an dessen Grenze entlang bis wir wieder den See erreichen. 

Wir befinden uns jetzt an einer kleinen geheimen Stelle, etwa gegenüber vom Strand. Monika und ich wechseln uns mit dem Halten der Pferde und dem Guckengehen auf dem Steg ab. So vieles gibt es zu endecken. Welch ein Paradis bekommen wir da zu sehen! In der Sonne tummeln sich Ringelnattern. Eine von ihnen ist fast einen Meter lang und ziemlich dick. So ein riesiges Exemplar habe ich noch nie gesehen. Leider ist sie schnell verschwunden und läßt sich nicht wieder blicken. Dafür scheint eine der anderen Schlangen fast zahm zu sein, denn sie zeigt kaum Scheu, als ich mich ihr langsam und vorsichtig nähere. Im Wasser sehe ich sechs verschiedene Fischarten und einen Krebs, nebst Seerosen. Im Gegenlicht glitzert die Sonne auf der weiten Wasseroberfläche. 

Der Rückweg nach Marwica entpuppt sich als ellenlange Galoppstrecke und wir jauchzen den ganzen sandigen Weg entlang, weil es so schön ist, bis wir wieder auf die Konnitrassa stoßen. Am letzten Abend mit Magda, Witec und einigen Nachbarn spielen wir im Saal Tischtennis und Tischfußball. Wir sind nicht in Übung, schlagen uns aber trotzdem wacker. 

Am nächsten Morgen heißt es, endgültig Abschied zu nehmen. Die Pferderoute ruft. Anfangs wechseln Wald und Feld ab, bis wir in ein Tal gelangen, wo uns der Weg immer entlang an einem kleinen Bächlein, schließlich hinauf in die Berge vom Natureservat Bogdaniesz führt. Im einen Tal geht es hinauf, im nächsten wieder hinunter. Alte Buchenbestände laden uns zum Träumen ein.

Auf der Höhe von Witnica verlassen wir die Konnitrassa und reiten in nordwestlicher Richtung. Ich wundere mich, warum der Weg plötzlich zu Ende ist. Irrend gleitet mein Blick über die Karte, als es auch noch anfängt zu regnen. Wir traben zunächst aus der recht freien Waldfläche heraus, mehr in den Hochwald hinein, um am Wegesrand unter hohen Bäumen mehr Schutz zu haben. 

Ganz fest drehen Monika und ich den imaginären Wasserhahn wieder zu. 

Beim dritten Mal, mit einer sehr deutlichen Handbewegung und äußerster Anstrengung verbunden, wirkt unser Prinzip, wie stets auf unseren Reisen: es hört auf zu regnen (Vorsicht für Nachahmer- man muss wirklich ganz fest daran glauben, sonst funktioniert es nicht!). Per Kompaß suchen wir im Zick-Zack-Kurs unseren Weg, Hauptsache Nordwest. Der See „J. Dlugie“, welcher lt. Karte jedoch auftauchen muss, will sich aber absolut nicht zeigen und da ahne ich, dass wir uns wohl doch ein wenig vertan haben. Als wir auf ein Feld gelangen, ist endgültig klar, dass wir uns verritten haben. 

Aber, wo befinden wir uns genau? Aus der Karte werde ich zunächst micht schlau. Die arme Monika kriegt meine schlechte Laune ab, weil ich sauer bin, dass ich den richtigen Weg nicht gefunden habe. Instinktiv wenden wir uns nach rechts, bis wir bald darauf eine Straße erreichen. Mein Blick fällt auf das Ortseingangsschild mit dem unaussprechlichen Namen: „Dzieduszyce“. 

Darüber müssen wir beide so sehr lachen und sind gleichzeitig erleichtert darüber, zu wissen, wo wir sind. Nun stelle ich fest, dass wir früher, als geplant, von der „Konnitrassa“ abgebogen und dadurch fast direkt nach Sosny gelangt sind, anstatt weiter südlich noch am See vorbei reiten zu können. Die Ruine einer Scheune mitten auf dem weiten Feld weist uns den Weg und über eine alte, fast vollständig zugewachsene Kopfsteinpflasterstraße gelangen wir ins Dorf. 

Auf dem Schloßhof unter hohen Kastanien werden wir und die Pferde sofort von einer riesigen Kinderschar belagert. Lado und Jasko lassen die vielen patschigen Kinderhände gelassen über sich ergehen. Wohlweislich haben wir den Pferden die Halfter abgemacht, von den Ponyfrauen empfohlen, welche hier ebenfalls ihr Quartier hatten, damit die Kinder nicht mit unseren Pferden herumzotteln können, wie sie es mit ihren Ponys erlebt haben. Vor unseren Großen haben sie jedoch mehr Respekt und sie weichen sofort zurück, wenn eines der Pferde auch nur einen kleinen Schritt macht. Wir haben viel zu erklären und zu zeigen. Die Kinder helfen freiwillig beim Wassertragen und Füttern. 

Johanna, die den Kindern aus drei Dörfern auf dem alten Gutsgelände die Möglichkeit gibt, sich zu treffen, zu spielen und zu lernen, bietet auch Gruppenaktivitäten wie Zeichnen und Tanzen an. Eine kommerzielle Nutzung des Geländes möchte sie jedoch nicht und so steht ein großer Teil der Gebäude leer. Wir sind im ehemaligen Stuten und Fohlen- Stall untergebracht. Die Zimmer und sanitären Anlagen sind nur durch Vorhänge voneinander getrennt, was etwas gewöhnungsbedürftig ist. Auch Johanna spricht sehr gut Deutsch und wir haben beim Abendessen viel zu erzählen. Monika stellt fest, dass wir jede Menge Tiere gesehen haben, jedoch noch kein Rotwild. 

Am nächsten Morgen lassen wir uns mit dem Frühstücken Zeit, all zu schön ist es in unserer Frauenrunde. Uns erwartet der letzte lange Ritt-Tag. Aufgrund der erneuten Hitzewelle entscheiden wir uns gegen den Pferdeweg über das Warthetal und für eine selbstgesuchte Strecke durch den Wald. Es geht zu Robert und Agnieszka. Meine Konzentration läßt wohl nach oder ich bin verwöhnt von der ausgeschilderten Route, denn wir verfransen uns gleich am Anfang des Rittes, verpassen den See, der nicht, wie ich meinte, durch den Wald hindurchschimmernd zu sehen war. Wir geraten auf ein Wirrwar von Wegen und als wir auf einem der Schlacke(haupt)wege dahinreiten, überholt uns von hinten ein Panjewagen. Ich fühle mich in eine andere Zeit zurückversetzt. Die Männer darauf lachen und rufen. Ich frage vorsichtshalber, weil ich nicht unhöflich sein möchte, ob wir richtig sind. „Tak!“ (Ja) kommt als Antwort. 

Wir erreichen einen wundervollen See (J. Wielkie) mit einem so reinen Wasser, dass wir lange den Grund mit unseren Füßen unter uns ganz deutlich sehen können. Danach verreiten wir uns widerum etwas, weil es natürlich mehr Wege in Natura, als auf der Karte gibt. Unser Abstecher nach zu frühem Abbiegen wird mit Blick auf einen sumpfigen Teich mit üppiger Ufervegetation belohnt. Dann scheint der Wald nur noch aus Schlackewegen zu bestehen. Ich finde jedoch einen Waldweg, der in unsere Richtung führt. Wir sind froh, dass wir wieder etwas traben können, als rechter hand von uns ein Gekreisch anhebt. Zwei Raubvögel fühlten sich in der Mittagsruhe gestört und fliegen, schrille Töne ausstoßend, davon. Nach einer Graspause, als wir weiterreiten, überqueren plötzlich mehrere Hirschkühe jedes ein Kalb an ihrer Seite den Weg. Ich höre es links von uns Knacken im Wald. Da bricht nochmals ein kleinerer Trupp Hirschkühe mit Jungtieren aus dem Unterholz hervor. Die Zeit scheint still zu stehen, für uns, die vor Ehrfurcht erstarrt sind- zweiköpfige Wesen und dennoch ist der Augenblick sekundenschnell vorüber. Die braunen, schlanken Tierleiber sind im Dickicht verschwunden. So ist unser Wunsch doch noch in Erfüllung gegangen. 

Danach gelangen wir in bekanntes Gelände. Ich probiere trotzdem neue Wege aus, sonst wäre ich kein richtiger Wanderreiter. Die Pferde spüren, wohin es geht und ziehen im Tempo an. In Sarbinowo fühlen wir uns sofort wieder wie zu Hause. Es ist schön wieder hier zu sein. 

Die verbleibenden restlichen Urlaubstage erkunden wir allein die Umgebung. Wir reiten nochmals zur Mysla, in das nördlich gelegene Naturreservat, welches sich vom Aussehen her kaum vom anderen Wald unterscheidet und zur Oder, wo uns die Vogelwelt wieder in seinen Bann zieht. Tagelang könnten wir hier noch reiten, so groß ist der Wald, und wir wären dann immernoch nicht alle Wege abgeritten.

Im nahe gelegenen See gehen wir schwimmen. Dort in der Nähe überraschen uns bei einem unserer Ausritte zwei Feldhasen mit ihrem Spiel. Unsere Pferde bleiben wie angewurzelt stehen. Der eine Hase rennt dem anderen hinterher. Sie jagen sich im Kreis herum, tollen hierhin und dorthin, so dicht vor uns, dass wir fast denken sie geraten zwischen die Pferdebeine. So vertieft sind die beiden Feldhasen in ihr Spiel, dass sie weder uns noch die Pferde bemerken. Unermütlich geht die Hatz der beiden Feldhasen: um einen Baum herum, ein Stück den Weg entlang, wieder zurück zu uns, wieder vor uns im Kreis herum, bis sie sich weiter und weiter entfernen und schließlich verschwunden sind. 

Am Wochenende kommt uns Rosi aus Alt- Tucheband besuchen und eine Filmcrew vom RBB ist auf dem Hof zu Gast. Begeistert erzähle ich von unseren schönen Urlaubserlebnissen. Sechs Stunden Filmmaterial kommen zusammen: Monika beim Hufeauskratzen, ich beim Heufahren, Robert auf der Pferdekoppel, Agnieszka beim Kochen, die Familie und wir beim Essen und an der Kaffetafel (Zu sehen kriegen wir später im Fernseher etwa drei Minuten). 

Am letzten Tag reiten wir zum Fort Sarbinowo. Es ist schwierig zu finden, da es völlig im Wald versteckt ist und wir kommen ins Streiten, welchen Weg wir wählen sollen. Von der Anlage her soll es der Zitadelle in Berlin-Spandau ähneln,da es nach gleichem Prinzip erbaut wurde. Wir können jedoch nur einen kurzen Blick von oben her auf das grandiose Bauwerk erhaschen, denn der größte Teil befindet sich unter der Erdoberfläche, tiefer gelegen, als der Waldboden. Um einen Weg in das Tal zu finden, haben wir dann leider keine Zeit mehr. Wir müssen umkehren. Die Fahrt im Auto, den Pferdehänger hintendran, läßt unseren traumhaften Urlaub noch einmal in uns nachklingen. Für uns steht fest: nächstes Jahr geht es wieder nach Polen.